Ackerbau – Jedes dritte bis vierte Jahr Kleegras notwendig?
Wichtige Informationen vom Regierungspräsidium Stuttgart vom 10.11.2024
Dr. J. Mühleisen vom Pflanzenschutzdienst am Regierungspräsidium Stuttgart weiß, dass der Wirkstoff Flufenacet wegfällt und beäugt die Tatsache, dass zunehmend mehr Wirkstoffe wegfallen aus ackerbaulicher und aus Pflanzenschutztechnischer Sicht kritisch. Erfahren Sie mehr…
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat im Rahmen EU-Wirkstoffprüfung bei Flufenacet Ausschlusskriterien im Sinne der Zulassungsverordnung (EG) Nr. 1107/2009 festgestellt, so dass eine erneute Genehmigung nicht möglich ist. Die EFSA verfasst bei der Wirkstoffprüfung eine Schlussfolgerung ("EFSA Conclusion"), aus der hervorgeht, ob alle notwendigen Daten zur Bewertung des Wirkstoffs vorliegen und ob aus wissenschaftlicher Sicht Bedenken gegen eine Genehmigung bestehen. Bei den hormonschädlichen Stoffen (endokrine Disruptoren) stellte die EFSA fest, dass Flufenacet diese Kriterien nicht vollständig erfüllt. Schon vor Jahren hatte die Pflanzenschutzindustrie gewarnt, dass bei Umsetzung der Kriterien für endokrine Disruptoren drei Viertel der Getreidefungizide, die Hälfte der Phytophthoramittel und auch die Hälfte der Kartoffelherbizide verschwinden würde. Auch wenn bei diesen pessimistischen Prognosen sicherlich und verständlicherweise auch ein Stück Eigeninteresse der Industrie dabei war, stellen Pflanzenschutzberatung und praktizierende Landwirte doch fest, dass der Wegfall an Wirkstoffen immer weniger durch die verbleibenden Wirkstoffe, Neuzulassungen oder nicht-chemische Maßnahmen kompensiert werden kann.
Der bevorstehende Wegfall von Flufenacet ist besonders im Wintergetreide schmerzhaft. In Gebieten, wo die getreideselektiven ACCase-Hemmer (Wirkstoffe: Pinoxaden, Clodinafop; Pflanzenschutzmittel: z. B. Axial 50, Traxos) unzureichend wirken, ist der Wirkstoff Flufenacet bislang die tragende Säule in der Ungrasbekämpfung. Häufig haben die Böden auf Problemstandorten hohe Tonanteile und in der Fruchtfolge domminiert Wintergetreide. Durch den Wegfall von Flufenacet droht in vielen Fällen der in den letzten Jahrzehnten übliche Ackerbau unmöglich zu werden. Auf Problemstandorten wird vielfach eine Auflockerung der Fruchtfolge durch Sommerungen (z. B. Mais, Hafer, Körnerleguminosen) ggf. auch durch Kleegras notwendig sein, auch wenn dies wirtschaftliche Einschnitte bedeutet. Aber auch auf besseren Standorten wird es deutlich schwieriger Ungräser und insbesondere Ackerfuchsschwanz in Schach zu halten. Zudem ist Gebieten, die bislang keine Resistenzprobleme haben, mit einem höheren Risiko der Resistenzbildungen zur rechnen, da Wirkstoffwechsel nicht mehr im bisherigen Umfang möglich sein werden.
Neben den ackerbaulichen und finanziellen Gesichtspunkten werden durch den Wegfall von Flufenacet auch die Ziele des Landes Baden-Württemberg im Bereich der Pflanzenschutzmittelreduktion schwieriger erreichbar. Herbizide machen ca. 50 % der Wirkstoffmenge aus und bei Flufenacet genügten pro Hektar vergleichsweise geringe Wirkstoffmengen, während es bei anderen Bodenwirkstoffen teilweise erheblich höhere Mengen sind. So genügten zum Beispiel bei dem Flufenacet-haltigen Herbizid Herold SC (200g/l Diflufenican, 400g/l Flufenacet) 0,6 l pro ha Wintergetreide, was einer Wirkstoffmenge von lediglich 0,36 kg Wirkstoff entspricht. Wird statt Herod SC das Herbizid Boxer (800g/l Prosulfocarb) mit 5 l pro ha Wintergetreide eingesetzt, bringt man insgesamt 4 kg Wirkstoff pro ha aus und damit mehr als die zehnfache Wirkstoffmenge. Zusätzlich ist die Wirkung gegen Ackerfuchsschwanz bei 5 l Boxer zwar besser als bei 3 l Boxer, aber immer noch deutlich schlechter als bei 0,6 l Herold SC. Bislang wurde deshalb Boxer im Wintergetreide überwiegend mit einen Flufenacet-haltigen Herbizid kombiniert (z. B. Boxer + Cadou SC), was nach Wegfall von Flufenacet nicht mehr möglich ist.
Wie lange Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Flufenacet noch verfügbar sind, ist im Moment noch unklar. In diesem Herbst konnten und können Flufenacet-haltige Herbizide im Wintergetreide bislang noch eingesetzt werden. Zwar wurden seitens des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) teilweise Flufenacet-haltigen Pflanzenschutzmittel erst vor Kurzem bis 15.06.2026 verlängert (z. B. Battle Delta, Herold SC). Jedoch kann das BVL auf Grundlage von Artikel 45 der Zulassungsverordnung (EG) Nr. 1107/2009 bei neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kurzfristig Änderungen vornehmen und z. B. die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels vor Ende der Genehmigungsdauer ohne Abverkaufs- und Aufbrauchfrist widerrufen. Das könnte dazu führen, dass bereits im Frühjahr 2025 keine Flufenacet-haltigen Mittel mehr eingesetzt werden dürfen. Ob es so weit kommt ist im Moment noch unklar. Die Deutsche Umwelthilfe hat zwar in einer Pressemitteilung vom 18.10.2024 das sofortige Verbot aller Flufenacet-haltiger Pflanzenschutzmittel gefordert und ein juristisches Vorgehen angedroht. Jedoch gibt es sogar im Rahmen der EU-Zulassungsverordnung die Möglichkeit, Wirkstoffe mit nachweislich endokrinschädlichen Eigenschaften befristet für bis zu 5 Jahre zuzulassen, sofern dies zur Bekämpfung einer ernsthaften Gefahr in Bezug auf die Pflanzengesundheit erforderlich ist (vgl. Artikel 4 Absatz 7 in Verbindung mit Anhang II Nummer 3.6.5). Daraus lässt sich schließen, dass den Verfassern der Zulassungsverordnung bewusst war, dass die benötigte Hauptwirkung der Pflanzenschutzmittel zur Abwehr von Schaderregern nicht in jedem Fall ohne unliebsame Nebenwirkungen zu bekommen ist. Auch vor diesem Hintergrund bleibt offen, ob die Schlussfolgerung der EFSA zu Flufenacet tatsächlich erfordert bzw. ausreicht, Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Flufenacet ohne die üblichen Abverkaufs- und Aufbrauchfristen vom deutschen Markt zu nehmen. Die Entscheidung darüber trifft in Deutschland das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und ggf. auch Gerichte.
Unabhängig von tatsächlichen Zeitpunkt des Wegfalls von Flufenacet müssen sich Ackerbauern darauf einstellen, dass je nach Standort in der Ungrasbekämpfung auch für manche Betriebe schwer integrierbare Maßnahmen, wie z. B. Aufnahme von Mais und Kleegras in der Fruchtfolge, notwendig werden. Hier gilt es, den verständlichen Unmut hinter sich zu lassen und – wo erforderlich – neue Möglichkeiten für den eigenen Betrieb zu suchen. Kooperationen mit tierhaltenden Betrieben sind möglich oder ein neuer Einstieg in die Rinderhaltung. In den 1960iger Jahren gab es in Baden-Württemberg in manchen Jahren über 1,9 Millionen Rinder, inzwischen ist der Rinderbestand trotz erheblichem Bevölkerungs- und Wohlstandszuwachs mehr als halbiert und der Selbstversorgungsgrad bei Rindfleisch in Baden-Württemberg liegt unter 60%. Wo in der landwirtschaftlichen Erzeugung die Märkte der Zukunft liegen, kann niemand vorhersagen, aber es wird auch in der Zukunft noch essende Menschen und bestellte Felder geben.